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Ich hab ja immer alle möglichen Theorien über das Leben und so. Erst dachte ich, Du musst halt akzeptieren, was mit Dir passiert. Dann wollte ich das Leben in die Hand nehmen und kontrollieren. Aber seit Buenos Aires weiß ich was ganz Neues und natürlich total Bahnbrechendes: Das Leben ist wie Volleyball! Klingt irgendwie trivial. Aber lasst es mich erklären: Aus meiner Volleyballzeit (ja, ich mach grad ne Pause) weiß ich, es gibt mehrere Spielsysteme. Das eine – ‘mit vorgezogener Sechs’ – ist das statischere. Jeder hat seine feste Position auf dem Spielfeld. Du weißt, was Du zu tun hast. Bist da recht sicher, machst es nunmal so, wie es Dir aufgetragen ist. Und den Rest machst Du nicht. Bisschen wie auf dem Amt à la ‘och nö, das fällt nicht in meinen Aufgabenbereich’. Oder wie im Strebergarten, wo die Äste des Nachbarbaums bloß nicht über deinen Zaun hinauswachsen dürfen. Das Spielsystem ist einfacher und bequem. Aber: Du verpasst Bälle. Du verpasst möglicherweise Chancen, die das Leben Dir so zuspielt.
Und dann gibt es dynamischere Spielsysteme, wo ‘die Zwei der Steller ist’ oder das ‘Läufersystem’. Die sind erstmal ordentlich chaotisch für das arme Hirn. Mal stehst Du näher am Netz, in V-Form, gefühlt kreuz und quer und andere seltsame Aufstellungen. Die Aufgabe ist es, auf den Moment zu schauen und jedes Mal neu zu reagieren. Das nennt sich auch Improvisation. Annahmeposition, Herzklopfen, rennen und den Ball schön in die Fresse kriegen, aber immerhin: Kriegen. Das ist verdammt anstrengend. Du läufst Dir die Haxen ab, nach vorne und hinten, links und rechts und gerne auch mal wohin, wo Du gar nicht hingehörst. Du trittst über Deine Grenzen. Du riskierst Stürze, wunde Knie und einen Zusammenprall mit einem Mitspieler (ich vor allem). Gefährlich, aber höhere Siegchancen. Denn wenn Du Dich an die Dynamik des Lebens gewöhnt hast, kriegst Du mehr Bälle. Und dann machst Du Dich bereit für einen Angriff, der sich gewaschen hat, Alter (und wenn ich ‘Alter’ sag, meine ich es ernst)! Es geht in diesem Lebensspiel nicht um Fatalismus oder Kontrolle. Es geht um eine Balance aus Steuerung und Mitgehen mit dem, was das Leben Dir bietet. Du öffnest die Augen, die Sinne, den Verstand, legst Dich hinein und nimmst wahr, was das Leben für Herrlichkeiten zu bieten hat.
Ich kann verstehen, wenn jemand das bequeme Spielsystem wählt. Sicherheit und klare Aufgaben haben ihre Vorteile. Man soll sich auch zu nichts zwingen. Fatal ist es, wenn man sich nicht entscheidet. Dann eiert man nur unentschieden rum. Aber ich weiß, wofür ich mich entschieden hab. Ich hab einfach keine Lust, immer an einer Position zu stehen. Ich will das Leben abkriegen mit all seiner Kraft.
Das Beste dabei ist, wenn Du Dich für dieses offene System entschieden hast – und ein bisschen Übung – läuft es irgendwann wie von selbst! Wenn Du in der Annahme des Lebens stehst und ohne Angst die Arme bereithältst für den heftigen Ball, der da kommen mag, dann kommt er manchmal genauso auf Dich zu, wie Du es brauchst. Du kannst machen, was gerade in DEIN System passt, springen, Dich fallen lassen, Du kannst Dir sogar – wenn Du total bescheuert bist – die Haare lila färben (oh mein Gott, meine Haare sind lila!). Als ob das Leben seinen Teppich vor Dir ausbreitet und ruft ‘hier bin ich, jetzt nimm mich’. Das Leben und Du, Ihr seid dann Partner. Und wenn Du dann noch einen ordentlichen Angriff gebacken kriegst, ist das ein Gefühl wie Fliegen. Ehrlich, Ihr glaubt nicht, was da draußen so alles auf Euch wartet, wenn Ihr Euch aufmacht und ein winziges bisschen vertraut. Und riskiert.
Liebes Leben, Du heiße Bitch (wenn ich ‘Bitch’ sage, meiner ich es noch viel ernster), ich bin hungrig nach Deiner Wucht. Ich krieg Deine Bälle, ich schwör’s. Und wenn ich mir bei einer spektakulären Japanrolle Schürfwunden zuziehe. Alter, echt jetzt, Bitch.
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